Systemrelevant – ein Wort, zwei Bedeutungen - oder „Warum der Ruf nach pekuniärer Besserstellung der Beschäftigten „systemrelevanter“ Berufe ergebnislos verhallt“
Systemrelevanz – kennenlernen durfte das breite Publikum dieses Wort erstmals in den Jahren der Finanzkrise. Damals bezog sich die Zuschreibung dieses Attributes auf die großen und entscheidenden Banken, die bei ihren Spekulationsgeschäften in Schieflage geschlittert waren, deren Insolvenz das Bankensystem als Ganzes und damit die Grundfesten der Marktwirtschaft bedroht hätte, weshalb sich die Staaten genötigt sahen, zu intervenieren und diesen Zusammenbruch zu verhindern, koste es was es wolle.
Plötzlich im Jahr 2020 taucht im Zeichen der Coronakrise dasselbe Attribut der Wichtigkeit, derselbe Terminus „systemrelevant“ wieder auf. Auf einmal bekamen die vielen sogenannten „kleinen Leute“, die in der Sondersituation der Pandemie und des staatlich verfügten Shutdown als unentbehrliche Dienstkräfte entdeckt wurden: Supermarktkassiererinnen, Regaleinschlichter, das Pflege- und Krankenhauspersonal, Postboten und schließlich sogar Polizisten wie einen Orden das Etikett „systemrelevant“ angeheftet, als wäre das das denkbar größte Kompliment. Sie bekamen Applaus vom in Quarantäne verbannten Publikum. Von Politik und Öffentlichkeit wurden sie als „Heldinnen der Arbeit“ gefeiert. Ein Anfall von Dankbarkeit ging quer durch die von Infektionsgefahr und staatlicher Seuchenbekämpfung irritierte Gesellschaft. Von Dauer war der nicht.
1. Zum Unterschied zwischen „systemrelevanten Banken“ und „systemrelevanten“ Berufen
Ein und dieselbe Zuschreibung als „unentbehrlich“ sowohl an die als systemrelevant erklärten Berufe als auch – in Zeiten der Finanzkrise – an die wesentlichen finanzkapitalistischen Player hat aber in diesen beiden Fällen völlig andere, um nicht zu sagen gegensätzliche Konsequenzen. Im Fall der großen finanzkapitalistischen Player bedeutete dieses „systemrelevant“, dass der Staat seinen Kredit zu strapazieren hatte, um sie zu retten, eben weil sie systemrelevant sind. Anders und geradezu gegenteilig im Fall der in der Coronakrise als systemrelevant gekennzeichneten Personengruppen. Über die konnte man nämlich seitens der Gewerkschaft im Zuge ihrer Kampagne für eine Extrabelohnung der systemrelevanten Jobs Folgendes erfahren:
„Sie“ – die Beschäftigten in den sogenannt systemrelevanten Berufen – „mussten zum Höhepunkt der Coronakrise einiges leisten. Sie haben Doppelschichten geschoben, waren gefährlichen Situationen und einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Aber vor allem haben sie dafür gesorgt (und sie tun es noch immer), dass die Gesellschaft weiter funktionieren konnte. Die sogenannten Systemerhalter wurden für ihre Leistungen beklatscht. Die Gewerkschaft forderte mehr. Ihnen sollte eine Sonderzahlung ausbezahlt werden.“ (https://www.puls24.at/news/chronik/praemien-statt-corona-tausender-so-hoch-sind-die-boni-fuer-systemrelevante-berufe/210781
Im Fall der systemrelevanten Berufe ist nicht der Schutz der „Systemrelevanten“ angesagt. Bei ihnen folgt aus ihrer Systemrelevanz das Gegenteil. Gerade weil sie so systemrelevant sind, hatten sie ihren Dienst unter allen Umständen zu versehen, mussten selbst gerade auf Schutz verzichten und sich der Infektionsgefahr aussetzen. Ihr Opfer war und ist notwendig, um das System der Marktwirtschaft am Laufen zu halten.
Ein und derselbe Terminus „systemrelevant“ hat offenbar ganz unterschiedliche, ja gegenteilige Bedeutung, je nachdem ob er sich auf die finanzkapitalistischen Player bezieht oder aber auf die Vertreter der in der Corona-Pandemie als systemrelevant charakterisierten Berufsgruppen. Banken wurden in der Finanzkrise als systemrelevant eingestuft und gerettet, weil und soweit sie den Kern des zu rettenden Systems bilden. Ihr Scheitern – so die Sorge der Politik – hätte den Zusammenbruch des Finanzsystems und damit der ökonomischen Basis des Staates als Ganzes nach sich gezogen. Das wollten die Staaten um jeden Preis verhindern. Von einer solchen Identität der Interessen von Staat und als systemrelevanten Akteuren kann im Fall der er als systemrelevant klassifizierten Berufe nicht die Rede sein.
Während als Konsequenz der Zuschreibung als systemrelevant daher in Sachen Finanzsystem die – koste es was es wolle – Rettung der in Not geratenen Institute angesagt war, bedeutet dieselbe Zuschreibung bei den Supermarktkassiererinnen, dass sie sich im Interesse des Systems, für dessen Funktionieren sie als relevant eingestuft wurden, einer Gefahr auszusetzen hatten, nämlich der Gefahr einer Ansteckung. Sorgeobjekt ist in beiden Fällen das „System“.
2. Systemrelevante Jobs, die nicht entsprechend ihres gesellschaftlichen Werts bezahlt werden:
Teile der Öffentlichkeit und die Gewerkschaft wollten diese Zuschreibung anders verstanden haben:
„Pflegerinnen, Supermarktkassiererinnen, Erntehelferinnen, Busfahrerinnen: Sie alle wurden zu Beginn der Corona-Pandemie als „systemrelevant Heldinnen“ jeden Tag um 18 Uhr mit Applaus gewürdigt. … Dennoch: Weder ihre Arbeitsbedingungen noch ihre Bezahlung und ihr Prestige entsprechen nur annähernd dem Wert, den ihre Arbeit für die Gesellschaft hat. Das hat sich trotz aller Versprechen zu Beginn der Krise nicht geändert.“ (Quelle: „Systemrelevanz: Wieviel ist Arbeit wert?“ Selina Thaler in Der Standard vom 1.August 2020)
und das SORA-Institut
„Der aktuelle Ausnahmezustand brachte ihre Leistung und ihre Unabdingbarkeit für das Funktionieren unserer Gesellschaft nun aber schlagartig ans Licht. Ob diese oftmals unterbezahlten, aber systemrelevanten Berufe jetzt auch nach der Krise langfristig ökonomisch und symbolisch aufgewertet werden, bleibt aber offen.“
Quelle: SORA Studie vom April 2020 „Arbeitsbedingungen und Berufsprestige von Beschäftigten in systemrelevanten Berufen in Österreich
Richtig ist, die Bedingungen der Beschäftigung in den zitierten Berufen sind miserabel: schlecht bezahlt, prekär beschäftigt und dann in den Zeiten der Corona-Krise auch noch ein höheres Infektionsrisiko durch extralange Arbeitszeiten. Wer solche Lohn- und Arbeitsverhältnisse für nicht angemessen hält – wie die zitierten Autoren – oder gar als Beschäftigter in einem dieser Berufe etwas daran ändern möchte, der hätte allen Grund dazu, der Frage nachzugehen, warum Lohn und Arbeitsbedingungen sind, wie sie sind. Beschwerden wie die vorgetragenen, machen etwas ganz anderes. Die behaupten, die vor allem seitens der Politik ausgesprochen Ehrerbietungen würden nicht zur Entlohnung passen.
Weder hat Corona aber etwas ans Tageslicht gebracht, was bislang im Verborgenen lag, noch sollte man die Ehrerbietungen seitens der Politiker dahingehend missverstehen, sie würden auf ein Missverhältnis zwischen Dienst und Entlohnung der betreffenden Beschäftigten aufmerksam machen wollen. Um das zu sehen, genügt es, sich etwa an die Worte zu erinnern, die die deutsche Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Fernsehansprache am 18.März gefunden hat:
„Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt. Danke, dass Sie da sind für ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten.““ https://www.sat1regional.de/supermarktmitarbeiter-und-kassierer-in-corona-zeiten-zeit-fuer-ein-dankeschoen/
Was die Beschäftigten gekriegt haben, ist ein Danke für ihren schweren Einsatz hinter ihren Kassen aus dem Mund einer Kanzlerin, die mit ihren Entscheidungen den Beschäftigten in den Supermärkten gar keine Alternative dazu gelassen hat, ihren Dienst antreten zu müssen. Eine Honorierung genau passend dazu, worum es ging, um ein Lob von Opferbereitschaft. Wo aber Opfer bedankt werden, sind diese Opfer gerade unterstellt. Mehr war nicht vorgesehen. Mit keinem Wort hat die deutsche Kanzlerin einem Missverhältnis von Lohn und Leistung der Beschäftigten systemrelevanter Berufe das Wort geredet, wie all jene glauben wollen, die sich in ihrer Behauptung eines solchen Missverhältnisses durch die Politik bestätigt sehen wollen. Es ist daher schon deshalb ein Fehler zu glauben, die politische Ehrerbietung, die sich gerade positiv auf die Opferbereitschaft der Arbeitnehmer bezieht, umdrehen zu können und zu versuchen, aus der politischen Anerkennung der Wichtigkeit dieser Berufe ein Anrecht auf bessere Entlohnung abzuleiten.
Im Übrigen ist es auch unabhängig von der Frage der Beglaubigung der eigenen Behauptung eines Missverhältnisses von Leistung und Lohn durch die Politik immer ein Fehler, Kritik im Namen eines Ideals – hier der eigenen Vorstellung einer angemessenen Entsprechung von Lohn und Leistung – zu üben. Niemals kann nämlich die Abwesenheit des eigenen Ideals Grund der beklagten Verhältnisse sein. Zumal doch noch das eigene Lamento offensichtlich macht, dass Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen sich nach anderen Kriterien bemessen als dem, was man selbst als gerecht und angemessen erachtet.
Eines ist an all den von Teilen der Öffentlichkeit und der Gewerkschaft vorgebrachten Forderungen nach einer gehaltsmäßigen Besserstellung der betreffenden Berufsgruppen im Namen ihres Werts und Prestiges bemerkenswert. Nie werden die Bertoffenen als wirkliche oder wenigstens mögliche Subjekte einer Kritik dieser Verhältnisse, die allen Grund hätten, sich diese Verhältnisse schlicht und einfach nicht gefallen zu lassen, ins Blickfeld genommen. Noch nicht einmal die Gewerkschaft hat sich als Arbeitnehmervertretung in diesem Sinn in Position gebracht. Im Gegenteil, man erinnere sich, dass sie im Bereich der Sozialwirtschaft ausgerechnet zu Beginn des Lockdowns den zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Wochen dauernden Arbeitskampf für eine 35 Stunden-Woche für beendet erklärt hat, ohne dieses Ziel erreicht zu haben. Statt zu tun, was fällig gewesen wäre, um das eigene Ziel zu unterstreichen, hat sie eine Petition an die Politik aufgelegt und bei den Bürgern um Unterschrift für diese Petition geworben.
Durchgängiges Charakteristikum aller Plädoyers für die Notwendigkeit einer Besserstellung der Vertreter systemrelevanter Berufe angesichts ihrer derzeitigen Lohn- und Arbeitsverhältnisse ist dabei, dass ein Argument nie vorkommt – der Nutzen der Betroffenen. Nie heißt es, die brauchen mehr und müssen deshalb auch mehr kriegen und zwar unabhängig von jeder Wichtigkeit. Iimmer heißt es, angesichts ihrer wichtigen gesellschaftlichen Funktion verdienen sie mehr. Immer wird – wie im zitierten Zeitungsartikel – mit dem Wert der Tätigkeit argumentiert und nicht mit den Lebensnotwendigkeiten dieser Personen. Wer aber mit dem Nutzen der Gesellschaft argumentiert, sollte sich besser nicht wundern, wenn dann die tatsächlichen Subjekte über Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen entscheiden, die auch die Nutznießer dieser Arbeiten sind– und das ist eben nicht ein anonymes Subjekt namens Gesellschaft .
3. Die wirklichen Bestimmungsgründe des Lohns der genannten Personen
Im Fall der Kassiererinnen sind das die großen Handelsketten, bei den Erntehelfer die Bauern und die Bezahlung der Pflegekräfte ist – neben den Betroffenen oder ihren Angehörigen – Sache des Sozialstaates. Jeder von denen hat seinen eigenen Grund dafür, knausrig zu sein, weswegen diese Einkommensquellen gar so schlecht taugen. Im Konkreten heißt das bei den
a. Supermarktkassiererinnen:
Dass deren Entlohnung gar nicht nieder genug sein kann, verdankt sich der Natur des von den Handelsketten verfolgten geschäftlichen Zwecks. Keine Handelskette betreibt ihr Geschäft, um die Menschheit mit den Produkten des täglichen Lebens zu versorgen, sondern in der Absicht, aus der Kaufkraft der kleinen Leute eine Quelle des eigenen Gewinns zu machen. Geldvorschuss in vermehrten Geldrückfluss zu verwandeln, das ist der Zweck. Die von den Kassiererinnen – wie im übrigen aller anderen Mitarbeiter einer Firma – verrichtete Arbeit ist Mittel des Ertrages der Firma. Das hat Konsequenzen hinsichtlich der Gestaltung der Tätigkeit, Lohn und Arbeitszeiten. Mit Teilzeitarbeit verschaffen sich die Unternehmen die ihrem Geschäftserfolg dienliche personelle und organisatorische Flexibilität des Einsatzes der Kassiererinnen: Einsatz Kassiererinnen nach Möglichkeit immer nur dann, wenn mit größerem Kundenandrang zu rechnen ist, auf dass keine bezahlte Arbeitsstunde ungenutzt verstreicht.
Für die große Mehrheit der Arbeitnehmer in Teilzeit heißt dies nicht nur, sich den Tag längs der Bedürfnisse ihres Unternehmens einteilen, sondern und vor allem auch mit einem entsprechend der verringerten Arbeitszeit auch aliquot verringerten Einkommen auskommen zu müssen. Es ist dies daher eine Arbeit, die von vorneherein nur als das bitter notwendige Zubrot zum Familieneinkommen taugt. Wenig verwunderlich daher, dass der Großteil derjenigen, die dieses Arbeitsangebot annehmen, Frauen sind, auf die zu Hause noch einige andere „familiäre Verpflichtungen“ warten. Wenig verwunderlich auch, dass die Supermärkte sich diese Erpressungssituation dieses großen Heeres auf ein Zubrot angewiesener Frauen nicht entgehen lassen. Konsequenz sind die in diesem Berufsfeld gezahlten Löhne – die ganze Branche gehört deshalb zum Niedriglohnbereich.
b. Erntehelfer:
Auch die Arbeit der Erntehelfer ist nicht nur schwer, sondern außerdem besonders mies bezahlt. Löhne, die den Menschen ernähren, das erspart die Politik in Deutschland und Österreich ihren Landwirten schon lange, indem sie die nationalen Grenzen für arme Osteuropäer öffnet; genauer - für ein Geschäft mit international mobilen Knechten und Mägden, die mit einer Arbeit, die sich mehr als ein paar Wochen ohnehin kaum durchhalten lässt, kaum mehr verdienen, als was ihr Dienstherr ihnen für Kost und Logis berechnet; ein Geschäft, an dem dubiose Arbeitskräftevermittler und die großen Ankäufer der entsprechend billigen Agrarprodukte noch am meisten verdienen. Kaum einer dieser Sorte europäischer Wanderarbeiter wagt es, sich gegen Bedingungen ihrer Arbeit und Entlohnung zu wehren und zwar – wie man etwa am Beispiel der Spargelbauern aus den Tageszeitungen erfahren konnte – noch nicht einmal dann, wenn selbst die niedrigen gesetzlichen Standards unterschritten werden.
c. Pflegeberufe
Alten- und Krankenpflege zeichnen sich ökonomisch dadurch aus, dass sie zwar nötig, aber keine Beiträge zum Wachstum des Kapitals, sondern Unkosten des Gemeinwesens sind, die aus verstaatlichten Lohnteilen, den Mitteln der Sozialversicherungen oder dem Staatshaushalt finanziert werden und deshalb stets unterfinanziert sind. Wo Altenheime und Krankenhäuser privatisiert und als Kapitalgeschäft organisiert sind, ist es nach Auskunft der Branche schwer, „Rentabilität herzustellen“, weil das Einsparen von Lohnkosten durch technologische Effektivierung der Arbeit nur sehr begrenzt möglich ist. Beide kapitalistischen Defizite des Berufsfeldes legen die Arbeitgeber den Beschäftigten zur Last und entlohnen zwecks Erzielung von Gewinn oder zur Senkung staatlicher Unkosten hier auch die wenigeren Männer deutlich schlechter als etwa in der Industrie.
d. Polizisten
Als systemrelevant charakterisiert wurden schließlich auch noch die Polizisten. Tatsächlich kommt eine Gesellschaft, die systematisch für Ausschluss vom vorhandenen Reichtum sorgt, nicht ohne einen Gewaltapparat aus, der diese Verhältnisse unter Einsatz von Zwangsgewalt am Laufen hält. Der Lohn der Polizisten ist daher ein Teil der notwendigen staatlichen Unkosten – der faux frais – ohne die ein funktionierender Kapitalismus nicht zu haben ist. Die herausragende Wichtigkeit dieser gesellschaftlichen Funktion findet ihren Niederschlag in der Pragmatisierung der Amtsträger dieser Hoheitsverwaltung. Aber auch bei den Polizisten nimmt der Staat in Sachen Lohn im Interesse an einer Geringhaltung dieser Unkosten daran Maß, was sonst so in der Gesellschaft gezahlt wird. Auch bei diesen Beamten schießen die Bäume daher nicht in den Himmel, schon gar nicht bei den unteren Chargen, die ihren Dienst tagtäglich auch unter körperlichem Einsatz zu versehen haben.
4. Der wieder eingekehrte Realismus in Sachen Aufwertung der „systemrelevanten“ Jobs
Mittlerweile macht sich in den Reihen der Befürworter einer Besserstellung der in den systemrelevanten Berufen Tätigen eine gewisse Ernüchterung breit:
„Nüchtern betrachtet wird davon nicht viel übrigbleiben. Viele Betriebe stecken in der Krise. Bund und Länder geben Milliarden zur Stabilisierung aus. Viel Spielraum gibt es bei Lohnverhandlungen in den meisten Branchen nicht. So traurig es ist: Viel mehr als ein bisschen Balsam auf der Seele für die Systemerhalter wird nicht bleiben.“ (Kommentar Regina Bruckner „Belohnung für Systemerhalter: Karger Lohn“ in Der Standard 4.August 2020 )
konnte man etwa in der Tageszeitung „Der Standard“ Anfang August lesen. Man sieht, wird die Forderung oder besser gesagt der Wunsch nach einer besseren Entlohnung gar nicht vom Standpunkt eines besseren Lebensmittels für die Beschäftigten, was deren Notwendigkeiten und Bedürfnisse sind, vorgetragen, sondern vom Standpunkt des Nutzens ihrer Arbeit für die Gesellschaft, wird also die hier und heute herrschende Rechnungsweise anerkannt, ist der Weg zur Anerkennung der wirklichen Entscheider in Sachen Lohn und Arbeitsbedingungen geebnet. Ja, wenn die Bilanzen der Betriebe und der Haushalt des Staates eine bessere Entlohnung nicht hergeben, – „viele Betriebe stecken in der Krise“, „Bund und Länder geben Milliarden zur Stabilisierung aus“ – bleibt nichts als das zur Kenntnis nehmen: „So traurig es ist: Viel mehr als ein bisschen Balsam auf der Seele für die Systemerhalter wird nicht bleiben.“
Die Rede von der Systemrelevanz mancher Berufe war also, wie man sieht, nicht von langer Dauer. Mit dem Ende des staatlich verfügten Lockdowns endete auch die besondere Wertschätzung der – in Zeiten höchster Krise ob ihres gefährlichen Dienstes „Helden und Heldinnen der Arbeit“ genannten – Beschäftigten der sog. „systemrelevanten“ Jobs.
Und zu guter Letzt wurde man dann noch von Bundeskanzler Kurz im Rahmen der heurigen Sommergespräche darüber in Kenntnis gesetzt, dass doch letztlich alle Berufe irgendwie systemrelevant sind.
„Wir haben uns gefragt, wer sind die Helden in der Krise? Na, wer sind die Helden der Krise? Da haben viele zu Recht gesagt, die Supermarktkassiererinnen und -kassierer, die sind das. Dann sind wir aber draufgekommen, bei genauerem Hinschauen, es gibt auch viele Gruppen, von denen keiner spricht und die auch viel geleistet haben: alle in die in der Industrie arbeiten und durchgearbeitet haben, alle die am Bau arbeiten und dort gearbeitet haben, alle in den Gesundheitsberufen, Lehrerinnen und Lehrer, die teilweise stark gefordert waren, bis hin zu anderen Branchen und daher glaub ich, der Weg, den wir als Regierung gehen ist der richtige. Wir haben jetzt nicht gesagt, es gibt eine einzige Gruppe, sondern was wir gemacht haben, das ist die Steuerlast für alle Menschen zu senken, für alle arbeitenden Menschen.“ (BK Kurz im Sommergespräch, nachzusehen auf youtube (https://www.youtube.com/watch?v=94vrR0CLZqE, 11.9.2020)
Objektiv – so die erteilte Belehrung des Publikums – sind die Beschäftigten der systemrelevanten Berufe nicht mehr und nicht weniger wichtig als jedes Mitglied, das im System der kapitalistischen Konkurrenz und deren staatlichen Betreuung seinen Platz gefunden hat und den damit verlangten Diensten ausfüllt. So findet alles wieder seine schöne Ordnung. Ihr wahres Maß der Wichtigkeit hat eine Berufsgruppe weder in der Anstrengung der Arbeit, noch in ihrer konkreten Nützlichkeit, sondern einzig und allein im Einkommen. Wer mehr verdient, beweist dadurch, dass er wohl auch mehr leistet, sodass der richtige Bonus die Steuererleichterung ist. So kehrt alles in allem gesehen sehr schnell wieder der übliche Realismus ein…